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Ist das deutsche Medienprivileg etwa europarechtswidrig?
12. Februar 2019
Gerrit Hornung, Spiros Simitis, Indra Spiecker (Hrg.), Datenschutzrecht - DSGVO mit BDSG, 1. Aufl., Nomos Verlag, Baden-Baden 2019, 198,00 €.
Der Kommentar ist beeindruckend. Die Herausgeber haben namhaft Mitstreiter gefunden, das Bearbeiterverzeichnis listet Landesdatenschutzbeauftragte, Praktiker und die bekannten Namen aus der Forschung auf. Im Alphabet vorne steht ein gewisser Jan Philipp Albrecht, seines Zeichens Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Schleswig-Holstein. Sein früherer Titel war nicht ganz so sperrig, da war er als Abgeordneter der Berichterstatter für die DSGVO im Europaparlament, vom Titel her so etwas wie "Mr. DS-GVO". Aus seiner Feder stammen in der Kommentierung die Ausführungen zu den politischen Hintergründen in der Einleitung und - fast ein wenig wie ein Vermächtnis - die Einführung zu Art. 6 DSGVO, der die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung regelt. Die selbstbestimmte Erklärung des Betroffenen sei in der Praxis aufgrund des Vorgehens der Verwender von Datenschutzbestimmungen zunehmend eine fremdbestimmte Vorgabe geworden bis hin zu "Erpressungssituationen". Der Unionsgesetzgeber habe sich daher zum Ziel gesetzt, den Erlaubnistatbestand der Einwilligung wieder mit Bedeutung zu füllen. Mit eindringlichen Worten wendet sich Albrecht gegen jeden Interpretationsversuch, der ihm als eine Aufweichung dieses politischen Ziels erscheint, ihm geht es um Datenschutz als Menschenrecht und um die Deutungshoheit darüber.
Beim Literaturhinweis auf ein so umfangreiches Werk sind wie stets nur einzelne Beispiele heraus zu greifen. Jedenfalls bei diesen Werk muss sich Albrecht nicht sorgen, dass sein Ansatz verwässert würde. Die Kommentierung ist insgesamt auf einen strengen Datenschutz ausgerichtet. Etwa bei dem Erlaubnistatbestand der überwiegend die Interessen des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen oder Dritter nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO betrifft, wird davor gewarnt, dies könne eine "argumentative Fassade" für die Verarbeiter werden. Zur Einwilligung wird hier ein Spannungsverhältnis gesehen, es dürfe nicht geschehen, dass bei den Betroffenen "die Illusion der Kontrolle über ihre Daten erweckt wird". In diesem Zusammenhang werden auf externe Grenzen der Interessenabwägung hingewiesen, die sich aus anderen Rechtsquellen ergeben. Die ePrivacy-RL wird hier aufgeführt, womit man an dem Punkt wäre, dass diese Komplementärregelung zur DSGVO, die eigentlich zusammen mit ihr wirksam werden sollte, immer noch im politischen Prozess irgendwo feststeckt und vermutlich vor der Europawahl 2019 auch nicht das Licht des politischen Kompromisses erblicken wird. Jedenfalls derzeit, so heißt es anderer Stelle, seien die unter dem Begriff "Cookie-Regulierung" bekannten Verpflichtungen weiterhin anzuwenden, wonach Anbieter vor dem Setzen von Cookies darüber informieren müssen. Angesichts des Fehlens der ursprünglich geplanten Neuregelung des Datenschutzes bei elektronischen Kommunikationsdiensten ist das Verhältnis der neuen Verordnung zu der alten, immer noch geltenden ePrivacy-RL aus dem Jahr 2002 alles andere als einfach, wie die Kommentierung zu Art. 95 DSGVO eindrücklich zeigt.
Eine umfangreiche Kommentierung einer komplexen Regelung, die zudem als Eintritt als eine neue Epoche wahrgenommen wird, ist nicht immer in sich widerspruchsfrei, zumal angesichts der großen Anzahl von Autoren. So hat man etwa von Stephanie Schiedermair (sie bearbeitet hier zum Beispiel allgemeine grundrechtliche Rahmenbedingungen) an anderer Stelle eine Kommentierung zu Art. 85 DSGVO gelesen, also dem für die Medien relevanten Artikel zum "Medienprivileg". In der vorliegenden Kommentar beantwortet das Alexander Dix, ehemaliger Landesbeauftragter für den Datenschutz in Berlin und Brandenburg. In seiner "politischen Einführung" hat Albrecht darauf hingewiesen, dass bei den Medien die Traditionen in den Mitgliedsstaaten soweit auseinander liegen, dass eine Vereinheitlichung nicht möglich war. Es geht im Kern darum, ob ein datenschutzrechtlicher Ansatz auf die Arbeit der Medien übertragen wird oder der jedenfalls im deutschen Recht der aus dem Äußerungsrecht kommende Ansatz mit einem umfangreichen Abwägungsprogramm weiterlebt, das der BGH aus den Medienfreiheiten einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits gewonnen hat. Dix kritisiert Art. 85 DSGVO: dessen beide erste Absätze hätten "eine wenig plausible Struktur". Es geht hier um die Debatte, ob beide Absätze Grundlage für Ausnahmebestimmungen durch den nationalen Gesetzgeber sein können. Beide Absätze überschnitten sich, der zweite habe Einschränkungen ("erforderlich"), die der zweite nicht habe. Praxisrelevant ist das für die Kommentierung im Bereich der nicht-journalistischen Meinungsäußerung (Stichwort: private Meinungsäußerung). Der Autor schränkt den Anwendungsbereich des ersten Absatzes ein - wohl im Gegensatz zur medienrechtlichen Literatur in Deutschland.
Was "journalistisch" sei, sei weit auszulegen, so zu Recht die Kommentierung. Auch komme es nicht auf den Publikationskanal an. Womit wir bei Bloggern sind. Jedenfalls dann, wenn sie ein Mindestmaß an journalistischer Aufbereitung ihres Stoffes vornehmen, hätten sie ebenfalls eine den klassischen Presse-"Organen" vergleichbare Funktion des "Wachhundes" - was die übliche Formulierung des EGMR aufgreift. Ebenfalls folgen wird man der Kommentierung, dass administrative und wirtschaftliche Tätigkeiten von Medienunternehmen nicht unter das Medienprivileg fallen - wo auch immer (Stichwort: Reisekostenabrechnung des investigativ tätigen Journalisten) die Grenzziehung liegt. Dass auch journalistische Tätigkeit mit einer Gewinnabzielungsabsicht verbunden sein kann, steht auch nach der Auffassung der Kommentierung dem Anwendungsbereich der Öffnungsklausel nicht entgegen. Interessant und leider ein wenig zu kurz begründet ist die Auffassung, dass sich weder der Betreiber einer Suchmaschine noch der Anbieter eines sozialen Netzwerkes auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen könne, jedenfalls aus diesem Grund seien sie nicht im Anwendungsbereich des Art. 85 DSGVO.
Noch in der allgemeinen Beschreibung der DSGVO schreibt Dix, die Mitgliedsstaaten könnten ihren "Regelungsauftrag" nicht allein dadurch erfüllen, dass sie die gebotene Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten der Selbstregulierung den Verbänden überlassen; allenfalls das Konzept der regulierten Selbstregulierung mit vorgegebenem Rechtsrahmen, der dann durch die Verbände ausgefüllt werden könne, sei vorstellbar. Der deutsche Presserat bräuchte also einen gesetzlichen Regulierungsrahmen.Die Kommentierung sieht die Rechtslage in Deutschland insgesamt kritisch. Die Landespressegesetze seien keine dem Unionsrecht genügenden, normklaren Rechtsvorschriften in Bezug auf die Auskünfte gegenüber den Behörden. Die materielle Beibehaltung der alten Regelungen des BDSG genügten nicht, ohnehin sei schon das bisherige deutsche Recht für die Presse ungenügend gewesen. Die Landesgesetzgeber müssten die weitgehende und undifferenzierte Freistellung der Medien von Datenschutzregelungen beseitigen - was eine ganz grundsätzliche Kritik an den Bestimmungen ist, die 2018 in den Ländern eingeführt wurden, die allerdings bei der Abfassung der Kommentierung wohl noch im Entwurfsstadium waren. Die Kommentierung sieht ein "Schutzgefälle" der betroffenen Personen gegenüber den Print- und Funkmedien, das sei ebenfalls zu beseitigen. Die Sonderbehandlung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bei der Verarbeitung der "Teilnehmerdaten" sei abzuschaffen.
Die Regelungen des Rechts am eigenen Bild mit den im Kunsturhebergesetz (KUG) genannten Einschränkungen würden auch unter der DSGVO fortgelten. Die Rechtsgrundlage für das Fotografieren durch Fotojournalisten liege in Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO, wobei das berechtigte Interesse "im Lichte" des KUG auszulegen sei. Allerdings sieht der Autor erheblichen Regelungsbedarf im deutschen Recht, um die Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Solange die eingeforderten Normen nicht erlassen würde, sei es Sache der Instanzgerichte, Abwägungen zu treffen. Allerdings sei das Datenschutzrecht so wichtig, dass es anders als das "Medienzivilrecht" nicht auf Dauer der Rechtsprechung überlassen werden dürfe. Genau das zielt auf die Frage, ob die Arbeit der Medien auf Basis des gelernten Äußerungsrechts stattfindet, oder zukünftig aber in einem starren Rahmen eines neuen Datenschutzrechtes stattfinden wird. Die Diskussion wird uns eine ganze Weile beschäftigen und möglicherweise auch die Rechtsprechung neu justieren.
Release 12. Februar 2019, 15:55 - OR